Die Bunkerstrasse

Als diese Straße quer durch den Buhlert gebaut wurde, dachte noch niemand wirklich an den Krieg.
Aber die Planungen für den Westwall liefen voll an, und um die Bunker im Buhlert zu bauen und zu versorgen, wurde eine neue Straße gebaut - die Bunkerstraße.
Der Autor Wilhelm Stollenwerk läßt die Straße ihre Erlebnisse erzählen.
Er schrieb die Geschichte 1949 .

Die Redaktion (Monschauer Jahrbuch 1983)

Schon in Schmerzen und Leid geboren, war es mir klar, daß ich eine Tränenstraße werden würde.
Damals, in meiner Geburtsstunde, braute sich schon drohend das Weltgewitter zusammen; dunkel waren die Wolken, die über meiner Heimat, dem Hohen Venn,
dahinzogen und dunkel war's am politischen Himmel des übrigen Europas.
Über mich rollten vom ersten Lebenstage an schwere und minderschwere Lastwagen mit Baustoffen verschiedenster Art für den langsam entstehenden Westwall.
Tag und Nacht war Betrieb über mich hin.
Ich sah nur Arbeit und Hast und sah nicht die wunderbar schönen Sonnenuntergänge drüben über den glühenden und blühenden Weiten des Erikageschmückten Hohen Venns.
Vor Übermüdung sah ich auch nicht im Osten das Morgenrot, das Zeichen zur Freiheit, zur Sonne , wie man damals sang.
Ich spürte nur Lasten und Sorge, ich spürte nur Nagelstiefel und Kanonenräder, erst des Grenzschutzes und dann der regulären Truppen, die sich gegen Westen bereitstellten.
Und als dieser Rausch vorüber war, wurde es für einige Jahre still um mich.
Aus Gesprächen der Wanderer hörte ich zeitweise etwas vom großen Weltgeschehen dieser Jahre.
Mich stimmte es sehr traurig, daß die großen Kulturvölker Europas sich noch immer rücksichtslos zerfleischten, anstatt einen Weg zu suchen und zu finden, der diesem Wahnsinn ein Ende bereitet hätte.
Bitteres erlebte ich dann, als jüngstes und bestes Blut Deutschlands und Amerikas aus vierzigtausend Herzen in meiner allernächsten Umgebung im Waldesboden versickerte.
Von den Hochwäldern, in deren Schatten ich geboren und bis dahin gelebt und geatmet, blieben nur zerschossene und zersplitterte Stümpfe über.
Ein wüstes Tohuwabohu umgab mich.
Auch ich selbst trug tiefe Schrammen davon.
Wieder wurde es ruhiger um mich, aber nie mehr ruhig.
Mit wüstem Gedröhn flog das in die Luft und ging krachend auseinander, dem ich Verbindungs- und Zubringerstraße sein sollte, dem ich mein Dasein verdankte, der
Westwall.
Auch das ging vorüber.
Um mich herum blieb eine trostlose Wüste.
Ist es da nicht verständlich, daß ich eine Träumerin wurde?
Da liege ich nun einsam zwischen der Silberscheide und dem Buhlert.
Einige Wildwechsel gehen über mich her; das Reh- und Schwarzwild hat schneller heimgefunden als die Menschen, die schon kurz nach dem großen Ende heimkehrten, aber - wie gesagt - nicht heimfinden können.
Die Not ihres Vaterlandes ist groß.
Mit der Armee der Arbeitslosen stieg auch die Armee derer, die schwarz über die Grenze gehen.
Sie tragen das Wenige des Geldes, was im Volke ist, noch ins Ausland und schaden sich selbst, also dem Volke, ungeheuer und behindern mit den so dringlichen Aufbau der Gesamtwirtschaft.
Aber Schüsse, wie neulich drüben in Lammersdorf, können das Problem nicht lösen.
Arbeit und Verdienst braucht das Volk.
Totgeschossene hat es übergenug.
Nun, ich hörte dieser Tage von über mich dahinwandernden Beerensammlern, man habe endlich eine Volksvertretung gewählt.
Ob es in ihrer Kraft -und besonders in ihrem Willen - liegt, hier Wandel zu schaffen?
Noch laufen und fahren bei Nacht und Nebel packenbewehrte Schmuggler über mich hin.
Ich bin wieder Kriegsstraße geworden, Tränenstraße, denn ein Volk ist wieder dabei, sich selbst zu verlieren, wenn es nicht kurz vor Zwölf den richtigen Weg findet.
Ich weiß, ich kann der richtige nicht sein, denn ich bin in Schmerzen und Leid geboren.

(Anmerkung Franz-Josef Brandenburg: aus: Das Monschauer Jahrbuch 1983)